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Selbsterfahrung im LERNladen

Wie fühlen sich alte Menschen mit Sehbehinderungen oder Schwerhörigkeit in einem Supermarkt? Auszubildende des Aachener Berufskollegs für Wirtschaft und Verwaltung können das jetzt in einem "Lernladen" selbst erfahren.Das bundesweit einmalige Pilotprojekt soll die Inklusion fördern.Die Hände von Jennifer Melcher zittern so heftig, dass sie die Nudelpackung kaum greifen und festhalten kann. Die Auszubildende trägt spezielle Handschuhe, die unter Strom gesetzt werden und das alterstypische Nervenzittern simulieren. "Es ist sehr unangenehm, weil man gar keine Kontrolle mehr hat. Wenn ich mir vorstelle, dass Menschen das 24 Stunden haben..." Dieses Zittern wünsche man keinem, sagt Jennifer. Und sie könne nun nachvollziehen, wie sehr eine Behinderung einen Menschen beeinträchtigen könne.

 

Gezielte Hilfen anbieten

Genau das ist das Ziel des Projekts - mehr Verständnis schaffen für die wachsende Zahl alter Menschen, die als Kunden anders wahrgenommen werden müssen. In Zusammenarbeit mit dem Europäischen Kompetenzzentrum für Barrierefreiheit (EUKOBA), einem Verein mit Sitz in Linnich im Kreis Düren, werden die jungen Leute in einem original eingerichteten Supermarkt gezielt geschult. Rollenspiele in dem "Lernladen" sollen dabei helfen, die Bedürfnisse der Kunden zu erkennen und Hilfen anzubieten. Das beginnt damit, die Mehlpackung aus dem oberen Regal anzureichen und führt soweit, dass Waren ganz anders sortiert und eingeräumt werden.

 

Verkaufssituationen wie im Alltag

"Wir schulen die Klassen des Berufskollegs an einem Tag und versuchen, die Azubis zu bewegen, einen offeneren Blick zu bekommen", sagt Patrick Dohmen, der Vorsitzende von EUKOBA. Es würden Verkaufssituationen dargestellt, die auch im Alltag typisch seien. Der Umgang mit Demenzkranken, Sehbehinderten oder Menschen mit Gehhilfen müsse erlernt werden, um eben nicht ungeduldig zu werden, wenn jemand nach einem Produkt frage und die Antwort der Verkäuferin nicht verstehe. Oder wenn jemand ein Glas Gurken fallen lasse, weil er es mit seinen zittrigen Händen nicht festhalten kann.

 

Barrierefreiheit in jeder Ausbildung

Schirmherrin des Projekts ist die ehemalige Bundesgesundheitsministerin und Bundestags-Vizepräsidentin Ulla Schmidt aus Aachen. Sie wirbt seit Jahren für eine inklusive Gesellschaft und für einen sensibleren Umgang mit behinderten Menschen. "Barrierefreiheit sollte Bestandteil jeder Ausbildung sein, nicht nur im Einzelhandel", fordert sie. Dazu gehöre ein Pilot-Projekt wie der "Lernladen", aber das Thema müsse weiter gefasst werden. So stellt sie sich vor, dass bereits in Schulen Gebärdensprache als Fremdsprache angeboten wird und Auszubildende zumindest Grundkenntnisse darin haben.

 

© Elke Herrmanns, WDR