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Kevelaer mit anderen Sinnen erlebt

Die Stadt Kevelaer lässt derzeit durch die Ingenieurgesellschaft StadtUmBau mbH aus Kevelaer ein integriertes städtebauliches Handlungskonzept für die Innenstadt erarbeiten. Das Konzept, das in einem offenen Planungsprozess in enger Zusammenarbeit mit Bürgerschaft, Politik und Verwaltung erarbeitet sowie mit der Bezirksregierung Düsseldorf abgestimmt wird, bildet die Grundlage für eine nachhaltige Innenstadtentwicklung für die nächsten Jahre. Kevelaer. Die Stadt bietet besondere Rundgänge für die Bürger an. Beim Auftakt am Samstag ging um die Frage, wie barrierefrei und behindertengerecht die Stadt ist. Am Nachmittag hatten die Gäste das Thema "Einzelhandel" im Blick. Von Monika Kriegel

Für den kurzzeitig blinden Fritz Kassing wurde die Überquerung der Gelderner Straße in Kevelaer plötzlich brenzlig. Am Friedhofseingang tastete der 16-Jährige sich per Blindenstock vorsichtig über den fehlenden Bordsteinrand vor. Sein Ziel: der Bahnhof. Doch so weit kam er gar nicht allein. Zum Schrecken der Beobachter befand sich der junge Mann mitten auf der Fahrbahn, musste von Begleiter Patrick Dohmen regelrecht "aus dem Verkehr" geführt werden. Die Stadt Kevelaer mit anderen Sinnen erleben? So erging es der Gruppe, die sich zum "anderen" Spaziergang unter Führung von Monika Agata-Linke traf. Helmut Hardt von der Ingenieurgesellschaft Stadtumbau begleitete die Bürger. Und Patrick Dohmen, Geschäftsführer vom Euregio Kompetenzzentrum für Barrierefreiheit, hatte zum Erleben von "Barrierefreiheit, Komfort und Sicherheit" das mobile Sense-Programm gepackt. Etwa Spezialbrillen, die Sichteinschränkungen simulieren, Schuhe, die eine altersbedingte Gehunsicherheit nachahmen. "Sensibilisieren geht am besten über Selbsterfahren", regte die Beraterin Agata-Linke an.

Für die junge Eva Görke aus Kevelaer gehört der Rollstuhl zum Alltag. Gemeinsam mit Mutter Heike berichtete sie von Problemen: "Über die Hauptstraße rolle ich wegen des Pflasters nur, wenn ich muss. Auf dem Friedhof erschwert lockerer Kies das Fahren zwischen den Gräbern." Am Bahnhof demonstrierte Patrick Dohmen, warum die Rampe zwischen den Bahnsteigen eine Ruheplattform benötigt. Rillenplatten und fehlende Noppenplatten, die sehbehinderten Menschen eine Richtungsänderung signalisieren, charakterisierte Dohmen als "Mosaikgestaltung von Pflasterarbeiten", jedoch nicht als behindertengerecht: "Gut gemeint ist nicht durchdacht." Nicht besucherfreundlich sei auch der Stadtplan Kevelaers, weil zu hoch für Rollstuhlfahrer und in zu kleiner Schrift. Für den Kapellenplatz hätte es nach den EURECERT Richtlinien für Barrierefreiheit keine Zertifizierung als behindertenfreundliche Stadt gegeben. "Hier muss noch viel verändert werden. Unsere Vorgaben sind streng, und es gibt nur wenige Städte in Deutschland, zum Beispiel Erfurt, die diese erreichen können", gab Dohmen Kevelaer mit auf den Weg.